Sühnesteine / Sühnekreuze
Am Friedhof in Großenhausen steht vor der Friedhofskapelle ein Sühnekreuz mit dem markanten abgebrochenen Querstein, das jahrelang vorher unterhalb des Linsenackers an der Straßenböschung platziert war, und weil es immer wieder von Brombeeren überwuchert wurde, seit 1973 auf dem Friedhof seinen heutigen Standort fand.
Ein zweites Sühnekreuz, das nach glaubhaften Quellen 1904 bei Verkoppelungsarbeiten im Flurstück „Am Steinernen Kreuz“ gefunden wurde und dann an der Straßenböschung der alten Straße beim Friedhof Großenhausen stand, ist verschwunden.
Da in Linsengericht, wie schon an anderer Stelle erwähnt, aus geschichtlicher Erkenntnis überwiegend Franken gesiedelt haben, galten hier mit Sicherheit auch die altfränkischen Regeln für die Aufstellung von Sühnesteinen oder Sühnekreuzen. Sie sind als Gedenksteine, der fränkischen Sitte entsprechend, von den Tätern oder deren Familien als Zeichen der Sühne errichtet worden (aber nur bei Totschlag für unüberlegte Tötung). Denn ein Totschlag, der im Mittelalter im Affekt begangen wurde, war eine Privatangelegenheit. Die Gerichte kümmerten sich selten darum; vorausgesetzt, der Täter einigte sich mit den Hinterbliebenen.
Es wurden sog. Sühneverträge ausgehandelt. So musste der Täter laut Vertrag z. B. Seelenmessen in der Kirche lesen lassen, Wallfahrten zur eigenen Buße und für das Seelenheil der Ermordeten ausführen und eine geldwerte Unterstützung an die Angehörigen zahlen, „Mann- oder Wehrgeld“ genannt. Außerdem hatte er die Bestattungskosten zu übernehmen und den Hinterbliebenen am Grab Abbitte zu leisten. Der Täter durfte keine öffentlichen Lustbarkeiten mehr besuchen und …
… er mußte ein steinernes Kreuz am Tatort errichten lassen.
Wenn er all diese Bußen erfüllt hatte, so war die Blutschuld gesühnt. Die Blutrache der Hinterbliebenen an der Sippe des Täters wurde nur ausgeführt, wenn kein Sühnevertrag geschlossen wurde. Erst durch Kaiser Karl V. wurde 1533 diese „Privatangelegenheit“ abgeschafft und die ordentlichen Gerichte urteilten über den Täter. Andere Steine, als Mordkreuze bekannt, setzten die Angehörigen zu Gedenken der Opfer. Die ältesten Steinkreuze führen uns bis ins 13. Jh. zurück; die überwiegende Zahl dürfte aber in der Zeit von 1300 bis 1600 gesetzt worden sein, wenngleich auch im 17. und 18. Jh. noch Sühnekreuze gesetzt wurden.
Hermann Koblischke, der die v. g. Ausführungen im Heimatbuch der Gemeinde Linsengericht dankenswerterweise zusammengefasst hat, erwähnt noch einen Sachverhalt, der offensichtlich heute auch schon nicht mehr bekannt ist:
Beim Ausgraben des o. a. Sühnekreuzes, um es auf den Friedhof zu versetzen, habe man in der Erde auch die Mordwaffe des Täters freigelegt, einen ca. 80 cm langen Degenbrecher, ein Kurzschwert mit einem breiten Klingenblatt, das mit einer sog. Parierstange ausgestattet war.
Die Waffe sei neben dem neuen Platz des Kreuzes in die Erde gesteckt worden, habe jedoch bereits nach kurzer Zeit einen neuen Liebhaber gefunden und ist bis heute verschwunden. Falls der „Finder“ sich bereit erklären würde, dieses Stück dem Heimatmuseum zu überlassen, wäre ein wertvoller geschichtlicher Fund gesichert, zumal es die erste Mordwaffe wäre, die in Hessen bei einem Sühnekreuz gefunden wurde.