Wer heute mit offenen Augen durch unsere Dörfer, den Gerichtswald und die angrenzenden Feldgemarkungen geht, findet sie ohne Schwierigkeiten – alte Steine, die uns Hinweise auf Besitzverhältnisse, Grenzverläufe, historische Ereignisse oder Lebensbedingungen geben können, die aber vielen Einwohnern heute in ihrer ehemaligen Bedeutung nicht mehr bekannt sind.
Mit den folgenden Ausführungen möchten wir Ihre Neugier wecken, die Ihnen eventuell bereits bekannten Plätze wieder einmal aufzusuchen, oder auch die nachfolgend beschriebenen aufzuspüren, um die „alten Steine mal aus der Nähe zu betrachten …“ oder auch ganz einfach neue weitere Exemplare zu finden.
Sie werden bestimmt immer wieder Altes Neues oder auch Neues Altes entdecken.
In unseren Wäldern stehen an Wegkreuzungen oder an Bestandsgrenzen die meist viereckigen ca. 40 bis 60 cm aus dem Boden ragenden 30 × 30 cm dicken Abteilungs- oder Distriktsteine. Sie kennzeichnen die Forstabteilungsgrenzen innerhalb des Zuständigkeitsbereiches eines Forstamtes.
In der Regel tragen sie im oberen Drittel schwarze Zahlen auf weißem Grund. Die Zuordnung erfolgt mithilfe der Forstkarten, auf denen die Abteilungsnummern und die Grenzen innerhalb des jeweiligen Forstamtsbezirkes in einer Karte im Maßstab 1:50.000 eingetragen sind. Die Abteilungsbezeichnungen sind für eine ordnungsgemäße Bewirtschaftung des Waldes unumgänglich, da mit ihnen sowohl die Bestandsfakten, die Einschlagsplanung und die Zukunftsplanung im sog. Forsteinrichtungswerk festgelegt und dokumentiert werden. Die auf den Steinen aufgetragenen Nummern zeigen normalerweise in die Richtung der bezeichneten Forstabteilung.
Im Zuge der Einführung einer geregelten Forstwirtschaft werden im Gerichtswald seit etwa Anfang des 19. Jhs. die Steine zur Abmarkung der Forstabteilungen gesetzt und sind für die Orientierung im Forst unumgänglich, denn sie dienen auch heute noch zur Feststellung des jeweiligen Standortes, wenngleich durch die GPS-Technik die Orientierung auch in Wald und Forst extrem erleichtert ist.
Eine Besonderheit ist der auf dem Hufeisen befindliche sechseckige Distrikt-Stein, der von seinem Standpunkt aus auf der Wegspinne die sechs ihn umgebenden Forstabteilungen bezeichnet.
Die Zahlen zur genauen Benennung der Abteilungen bewegen sich von der Nr. 1 an der Birkenhainer Straße am Hohenfiebig entlang der Grenze zum Revier Biebergemünd Richtung Wiesbütt über die Abt. 12, 38, 46, 45, 37 und 33 am Hufeisen bis zur Abt. Nr. 90 am Galgenberg oberhalb von Altenhaßlau in der Nähe des Kreisjägerheimes. Die einzelnen Forstabteilungen sind jeweils durch Forst- Wege oder Schneisen getrennt, die aber heute oftmals nur noch mühsam erkennbar sind. Neben den Gemarkungsbezeichnungen in den einzelnen Revieren waren diese Distriktbezeichnungen sehr
wichtig für die Kunden, die ihr Holz aus dem Forst holen müssen, denn nur mithilfe dieser Kennzeichnung konnte man sich über den angegebenen Standort des abzuholenden oder einzuschlagenden
Holzes informieren.
In den angrenzenden Revieren werden die Abteilungen dann wieder neu durchnummeriert.
Die sog. Gerichtswaldsteine finden wir entlang der Außengrenzen des Gerichtswaldes. Ab Eidengesäß am Waldrand nach Altenhaßlau über den Galgenberg zwischen Höchst und Altenhaßlau, in Richtung Breitenbörner Höhe, von dort hinunter ins Lützelbachtal bis zum Forsthaus Niederhof, über die Ortschaft Lützel hoch bis zur Birkenhainer Straße Richtung Hufeisen, in südlicher Richtung bis Waldrode, wieder am Waldrand entlang über Lützelhausen, Großenhausen, Geislitz bis nach Eidengesäß wurden sie im Laufe von Jahrhunderten gesetzt. Der Gerichtswald als sog. Allmende, das Gemeindeeigentum
aller alten fünf Orte im Linsengericht, ist bereits seit fränkischer Zeit im frühen Mittelalter dokumentiert. Offensichtlich musste der Grenzverlauf im Laufe der Zeit immer wieder durch diese Steine gekennzeichnet werden.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit war die Neigung der Bevölkerung in den vergangenen Jahrhunderten noch stärker als heute ausgeprägt, ihre landwirtschaftlichen Flächen optimal auszunutzen, wenn es sein musste, auch in den Wald hinein. Jeder Quadratmeter, auf dem Feldfrüchte angebaut werden konnten, war kostbar, zumal die Dörfer teilweise bis ins 18. Jh. weitgehend Selbstversorger waren.
Die Steine haben verschiedene Formen und Inschriften. Meist sind sie im Kopfbereich halbrund, und fast immer finden sich die drei Buchstaben „AGW“ auf einer Seite, oftmals mit einer Jahreszahl kombiniert. Sie ragen meist ca. 40 cm aus dem Boden, die Inschrift weist in der Regel in Richtung Wald.
Sehr schöne Exemplare stehen am Steinbruch am Galgenberg oberhalb von Eidengesäß und Altenhaßlau, hier finden wir die Nummern 600, 628, 629, 633. Am Hauloch oberhalb von Hof Eich steht die Nummer 508, unterhalb von Waldrode am Verbindungsweg, dem sog. Kühneweg vom Schützenhaus Großenhausen im Eckewäldchen finden wir teils fortlaufend die Nummer 398, 400, 401, 402, 403, 404. Einzelne Exemplare stehen noch in der Eicherheeg hoch zum Hufeisen und im oberen Lützelbachtal in der Abteilung 6 (Nr. 150 und 180) an der Grenze zu Bieber hoch bis zur Birkenhainer Straße.
Die Steine sind offenkundig auch zu verschiedenen Zeiten und vermutlich auch von verschiedenen Steinmetzen behauen worden, denn gerade die Nummer 180 im oberen Lützelbachtal zeichnet sich durch eine fast schon künstlerische Gestaltung aus, insbesondere wie das verschlungene „AGW“ für „Altenhaßlauer Gerichtswald“ gefertigt wurde.
Eine der markantesten Stellen, an der die bayr./hessische Grenze und der Gerichtswald unmittelbar nebeneinander gekennzeichnet sind, befinden sich auf dem Franzosenkopf, wo die Grenze einen 90-Grad-Schwenk aufweist. Hier steht die laufende Nr. 372 der AGW-Steine und in der Umgebung finden sich die KP/KB Grenzsteine von 1870 mit den Nummern 423, 424, 425, 427, 434 und 435 auf der hessischen/bayrischen Grenze.
Oft sind sie durch die modernen schweren Arbeitsgeräte teilweise in den Boden gedrückt worden, sodass man schon aufmerksam die Waldsäume nach ihnen absuchen muss.
Heute haben die Wälder zum Teil die Hänge talwärts zurückerobert, während sie noch bis Anfang des 20. Jhs. tatsächlich bis an ihre Feldgrenzen landwirtschaftlich genutzt wurden. Somit stehen die Steine heute oftmals an den ersten Wegen, die bereits wieder „im Wald“ verlaufen.
Den meisten Besuchern des Gerichtswaldes, die auf der Birkenhainer Straße unterwegs sind, bleiben sie nicht verborgen, die Grenzsteine zwischen dem ehemaligen Königreich Bayern KB und dem Königreich Preußen KP, sie stehen mittlerweile teilweise sogar mit weißer Farbe markiert im Gerichtswald auf dem Weg bis zur Wiesbütt.
Die Birkenhainer Straße als sog. „Höhenstraße“ dürfte bereits seit dem frühen Mittelalter, vermutlich sogar in der Keltenzeit eine strategische Bedeutung als sog. „Höhen- oder Fernstraße“ gehabt haben. In Verbindung mit dem Eselsweg kam ihrem Trassenverlauf mit Sicherheit eine wirtschaftliche Bedeutung zu, denn beide „Straßen“ bildeten eine Verbindung von den Salzlagerstätten in der Südrhön/Thüringer Wald (Bad Neustadt/Salz) zum Rhein-Main-Gebiet, in dem die damaligen „Herrschaften“ ihren Sitz hatten. Im hohen Mittelalter hatte die Birkenhainer Straße dann mit hoher Wahrscheinlichkeit doppelte Bedeutung: als oben beschriebener Fernverkehrsweg und auch als Grenzstraße. Sie führte, besser sie durchschnitt, im sog. Rienecker/Hanauer Korridor den Kurmainzer Besitz zwischen Gelnhausen über Bieber bis Lohrhaupten, der wie ein Keil den nördlichen Kurmainzer Besitz (von Wirtheim, Kassel, Orb, Flörsbach, Burgjoss, Pfaffenhausen bis Mernes) von dem südlich der Wiesbütt mit Wiesen und den übrigen Orten im Spessart gelegenen Liegenschaften trennte.
Somit war klar, dass ihr Verlauf ständig aktuell gekennzeichnet wurde. Wer heute auf der „Birkenhainer“ unterwegs ist, dem empfehle ich, die Grenzsteine näher zu betrachten. Sie stammen aus unterschiedlichen Jahren mit unterschiedlicher Beschriftung.
Friedrich I. Barbarossa benötigte die Straße für seine Fernkaufleute genauso wie Jahrhunderte später (im 15. Jh.) ein Ochsentreck, auf dem Tausende von Tieren aus Ungarn an den Niederrhein getrieben wurden, ohne dabei einen größeren Fluss überqueren zu müssen, und nicht zuletzt Napoleon, der auf ihr seine Heerscharen bewegte bzw. von seinen Gegnern beim Rückzug im Kinzigtal auf der Birkenhainer überholt und vor Hanau gestellt wurde.
Aber es gibt unterhalb des Franzosenkopfes noch einige ganz besondere Exemplare von Grenzsteinen, die eine andere Episode aus napoleonischer Zeit dokumentieren.
Hier grenzte der ehemalige Besitz der Abtei Seligenstadt mit den Gemarkungen Geiselbach, Omersbach und Hofstädten ab 29.09.1806 an das Großherzogtum Hessen-Darmstadt, nachdem er zunächst ab 1803 vorübergehend infolge des Reichsdeputationshauptschlusses an das Fürstentum Aschaffenburg, als territoriale Ausgleichsmaßnahmen nach der Gründung des Reichbundes, gefallen war.
Unter Hessischer Herrschaft wurden 1810 die markanten Steine gesetzt, der Hess. Löwe auf der einen Seite und das Mainzer Rad und die Buchstaben G.F.F.P. (Großherzogtum Frankfurt Fürst Primas). 1816 kam dieses Gebiet wieder zurück nach Bayern.
Höchst gegen Altenhaßlau
Aus der gleichen Zeit dürfte auch der Stein an der Gemarkungsgrenze zwischen Linsengericht OT Altenhaßlau und Gelnhausen- Höchst direkt unterhalb des Schießstandes des KJV an dem fast zugewachsenen Verbindungsweg stammen.
Alle diese Steine kennzeichnen den Grenzverlauf durch Einkerbungen auf der Oberseite.
Erläuterung:
In der Folge der französischen Revolution 1789–1801 und der Herrschaft Napoleons kommt es 1803 zur Neuordnung im Reich mit dem Reichsdeputationshauptschluss.
Dabei werden zahlreiche innerdeutsche Landesgrenzen neu festgelegt, als die fürstlichen und geistlichen Territorialbesitztümer „säkularisiert“ und fast alle Reichsstädte und -stände „mediasiert“ werden. Es entstehen lebens- und bündnisfähige Mittelstaaten.
In dieser Zeit werden auch zahlreiche Grenzen neu definiert und mit Steinen neu markiert.
Im Gerichtswald finden wir mehrere Gedenksteine, die an Personen oder Ereignisse erinnern.
Der Kuba-Stein steht ca. 200 m oberhalb vom Hufeisenhofes Richtung Hufeisen-Parkplatz an dem ehemaligen Steinbruch neben der Straße
In der Abt. 54 an dem mittleren Weg unterhalb des Hainkellers, ca. 500m entfernt von der Einmündung zur Landesstraße von Eidengesäß in die Lützel, steht der Major-Götze-Stein
In Großenhausen, am sogenannten "Eckewäldchen", steht in der Nähe des Schützenhauses ein Findling zu Ehren des Jagdaufsehers Wilhelm Geiger.
In der Abteilung 70, im sogenannten "Fuchsrain" zwischen Eidengesäß und Breitenborn, ist der Grünewaldstein seit Jahrhunderten an seinem Platz.
Am Friedhof in Großenhausen steht vor der Friedhofskapelle ein Sühnekreuz mit dem markanten abgebrochenen Querstein.
Am Lindenplatz in Altenhaßlau steht ein Sandstein in Form einer Muschel oder eines markanten Quaders mit Loch in der Mitte.
Für weitere Informationen empfehlen wir das Buch "Die Landschaften im Linsengericht" von Herrn Ralf Weppler